Drastische Kürzungen im Schulbereich in Hessen: Eltern fordern ein Ende der Einsparungen und das Einhalten der Versprechen aus dem Koalitionsvertrag

FAZ, 16.07.24

Hessische Elternvertreter sind empört: Das Land streiche 200 Lehrerstellen. Falsch, sagt das Kultusministerium. Es seien sogar 600 neue Stellen entstanden. Was stimmt nun?

Werden in Hessen tatsächlich 200 Lehrerstellen gekürzt? Darüber ist eine Debatte entbrannt. Während die Grünen und die hessischen Stadt- und Kreiselternbeiräte beklagen, dass die Stellen wegfallen sollen und die Landesregierung damit wortbrüchig geworden sei, rechtfertigt sich das Kultusministerium. Die Darstellung sei falsch: Es handele sich um Stellen, die infolge einer mehr als 20 Jahre alten Regelung zweckgebunden gewesen seien und nun nicht mehr benötigt würden. Insgesamt gebe es nicht weniger Lehrerstellen in Hessen, sondern, im Vergleich zum Vorjahr, sogar fast 600 mehr.
Die Kritik stammt von der Grünen-Landtagsfraktion. Deren bildungspolitischer Sprecher Daniel May hatte bereits am 20. Juni schriftlich mitgeteilt, dass die hessische Landesregierung „den Rotstift“ ansetze und mehr als 200 Lehrerstellen streiche. In der Plenardebatte am vergangenen Donnerstag wurde das Thema noch einmal aufgegriffen und gewann an Aufmerksamkeit. Die hessischen Kreis- und Stadtelternbeiräte äußern sich in einer Mitteilung empört: „Diese Einsparungen sind ein klarer Bruch der Wahlversprechen und gefährden die Bildung und damit die Zukunft unserer Kinder.“
„Bruch der Wahlversprechen“
Sie verweisen auf den Koalitionsvertrag, wonach mehr Lehrerstellen an allen Schulen geschaffen werden sollen. „Die Kürzungsvorgaben von Finanzminister Alexander Lorz stehen im krassen Widerspruch zu dessen Versprechen“, meinen die Elternvertreter. Unter dem neuen Kultusminister Armin Schwarz (beide CDU) würden nun sogar Stellen gestrichen und die Rahmenbedingungen verschlechtert. Zu Beginn der Sommerferien werde diese Entscheidung „durchgedrückt“, denn Proteste seien nun schwerer zu mobilisieren, weil Lehrer, Schüler und Eltern die freie Zeit herbeisehnten.

Das Kultusministerium widerspricht der Darstellung. Die Aussage, dass Stellen im Bildungswesen gekürzt würden, sei falsch. Die angeblich gestrichenen rund 200 Stellen, die im Nachtragshaushalt wegfielen, bezögen sich auf nicht benötigte Stellen, die aufgrund des Arbeitszeitkontos für Lehrkräfte und Sozialpädagogen entstanden sind.

Nach einer Verordnung aus dem Jahr 2002 mussten sie zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr eine Pflichtstunde mehr Unterricht erteilen, was bis zum Schuljahr 2007/2008 galt. Diese zusätzlich angesparten Stunden konnten sie sich auszahlen lassen oder abbauen, entweder durch Reduzierung der wöchentlichen Pflichtstundenzahl oder auch durch Freistellung vor dem Ruhestand, erläutert das Kultusministerium.
Da die Reduzierung der Pflichtstunden einen geringeren Unterrichtseinsatz nach sich zog und der Unterricht dennoch abgedeckt werden musste, wurden zusätzliche Stellen für die Kompensation gewährt und im Haushalt zweckgebunden zur Verfügung gestellt. Ein Teil dieser Stellen wird nun nach Auskunft des Ministeriums nicht mehr benötigt.

Fast 600 Stellen mehr – netto
Insgesamt seien nicht weniger, sondern mehr Stellen entstanden – und zwar fast 600 netto. Im Haushaltsjahr 2024 seien im Vergleich zum Haushaltsjahr 2023 genau 592,5 neue Stellen für Lehrkräfte geschaffen worden. Darunter seien 100 Stellen, die im Nachtragshaushalt 2024 im Rahmen des Sofortprogramms der Landesregierung für den Ausbau des Deutschunterrichts um eine Stunde in der zweiten Jahrgangsstufe vom kommenden Schuljahr an vorgesehen sind. „Den Schülerinnen und Schülern in Hessen kommt ein erneuter Anstieg der Stellen für Lehrkräfte zugute“, teilt das Kultusministerium mit.
Die Kreis- und Stadtelternbeiräte machen noch auf ein weiteres Thema aufmerksam: Besorgniserregend seien auch die Diskussionen um die Streichung des Ausflugstickets für Schulen, das erst 2023 auf Initiative hessischer Eltern vom Kultus- und Wirtschaftsministerium eingeführt worden sei. Lorz habe damals die Bedeutung dieses Tickets für einkommensschwache Familien hervorgehoben. Im Koalitionsvertrag sei die Verstetigung bestehender „Flatrate-Tickets“ versprochen worden. Verkehrsminister Kaweh Mansoori (SPD) müsse sich klar zur Verstetigung des Ausflugstickets bekennen, fordern die Elternvertreter.
Die Kreis- und Stadtelternbeiräte fordern Lorz und Schwarz dazu auf, in die Bildung zu investieren: „Hessen darf an Bildung nicht sparen! Wir fordern ein Sofortprogramm gegen Lehrkräftemangel.“ Die Landesregierung müsse zu ihrem Wahlversprechen stehen, dass die wichtigste Bank die Schulbank sei.

PM, 15.07.24

Hier findet Ihr eine Pressemitteilung, die von vielen Stadt- und Kreiselternbeiräten, sowie Schüler*innenvertretungen mitgetragen und unterzeichnet wurde.

Bildquelle: https://de.freepik.com/vektoren-kostenlos/lehrer-der-nahe-tafel-steht-und-stab-lokalisierte-flache-vektorillustration-haelt-karikaturfrauenfigur-nahe-tafel-und-auf-alphabet-zeigend_10173643.htm#fromView=image_search&page=1&position=0&uuid=9b54c90c-6e43-41ae-b892-1f68016218d4